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Di. 10 Dez. 2024
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Auf den Spuren ihrer Familie

Gerda Kaufmann aus Kommern floh vor 85 Jahren vor dem NS-Regime nach Amerika – Enkelin Erica Schwarz und Ehemann Chris Bailey aus den USA besuchten ihren Heimatort – Projektgruppe „Forschen-Gedenken-Handeln“ machte es möglich – Besuch beim Bürgermeister

Mechernich/Kommern/Boston – „Die Straßen entlangzugehen, auf denen meine Omi einst unterwegs war, ist einfach fantastisch. Sie war der wichtigste Einfluss meiner Kindheit und schenkte mir bedingungslose Liebe…“, erzählte Erica Schwarz, als sie mit ihrem Mann Chris Bailey in Kommern unterwegs war. Begleitet wurden sie dabei von Gisela und Wolfgang Freier sowie Elke Höver von der Projektgruppe „Forschen-Gedenken-Handeln“, in der auch Rainer Schulz sehr aktiv ist.

Schwarz und Bailey kommen aus dem über 5700 Kilometer entfernten Boston in Massachusetts, an der Ostküste Amerikas, und sprechen nur Englisch. Beide stammen aus Familien jüdischen Glaubens. Ericas Großmutter Gerda Kaufmann, liebevoll „Omi“ genannt, musste im Jahr 1938 aus Nazideutschland nach England fliehen. Ihre Flucht führte auf direktem Wege weiter nach Amerika. Ihre Schwester Emmy sowie ihre Eltern Sigmund und Bertha schafften es am 31. August 1939 über die Grenze nach England – einen Tag, bevor der Zweite Weltkrieg begann und so gut wie keine Flucht mehr möglich war.

Alleine in die USA

Gerda war das einzige Familienmitglied, das nach Amerika auswanderte. Hier fand sie zunächst Zuflucht bei der Familie einer Freundin, bei Mr. und Mrs. Meyer. Sie behauptete, kochen zu können, um dort mit einer ebenfalls deutschen Frau in der Küche arbeiten zu dürfen. Ihr Schwindel blieb nicht lange unbemerkt, doch die Frau verstand sie und half ihr dabei, es zu lernen. Damals war Gerda ca. 19 Jahre alt.

Kurz darauf lernte sie ihren zukünftigen Ehemann Josef in New York kennen, der aus Neunkirchen im Saarland geflohen war. Und so gründeten sie schließlich eine Familie in New Jersey.

„Ein unbeschreibliches Gefühl…“

Nun kehrte ihre Enkelin wieder an den Ort zurück, an dem Gerda aufwuchs, ihn aber bis zu ihrem Tode mit 90 Jahren nie wieder besucht hatte. An dem sie die unbeschreiblichen Gräuel einer Diktatur miterleben musste, die das junge Mädchen hasste, nur weil sie den „falschen“ Glauben, beziehungsweise die „falsche“ Abstammung hatte.

Die Freiers und Höver berichteten den amerikanischen Gästen während des Rundgangs durch den historischen Ortskern viel über die Geschichte Kommerns im Nationalsozialismus. So zum Beispiel, wie ein tapferer Kommerner damals 20 Menschen in der Reichsprogromnacht in seinem Haus versteckte und später Nonnen übergab, die sie für kurze Zeit weiter im Kloster versteckten.

Schwarz lauschte gebannt den Geschichten, ihre Gesichtsausdrücke bei den Erzählungen sprach Bände. Sie betonte: „Ich bin mit der Geschichte des Holocausts aufgewachsen. Doch war er immer weit weg. Nun hier zu sein, an ihrem Haus, das ich bisher nur von Bildern kannte, an der Synagoge, die in der Reichsprogromnacht niedergebrannt wurde… all das ist ein unbeschreibliches Gefühl – fast schon unglaublich.“

„Omi war seine Lieblingsenkelin“

Ericas Vater, Ron Schwarz, hatte schon lange Zeit Kontakt mit der Projektgruppe, deren Berufung es ist, den im Nazi-Regime geflohenen und getöteten jüdischen Mitbürger aus dem Mechernicher Stadtgebiet zu gedenken. Rons Tante Emmy hatte Kommern über diesen Kontakt bereits einmal besucht. Nun hatten sich vor kurzem auch Erica und Chris bei „Forschen-Gedenken-Handeln“ gemeldet, um der Familiengeschichte weiter auf den Grund zu gehen. Für ihren neuntägigen Deutschland-Besuch wohnen sie nun unter anderem bei den Freiers.

Auf einem großen Rundgang durch Kommern, begleitet von der Agentur ProfiPress, stand beispielsweise das alte Kloster, die Burg, der Gedenkstein der Synagoge und der jüdische Friedhof auf dem Programm. Bei jedem der vielen Stolperstein hielt man an und las die Inschriften, so auch vor dem ehemaligen Haus der Familie Kaufmann auf der Kölner Straße.

Das große, denkmalgeschützte Bauwerk befindet sich direkt neben ehemaligen Häusern weiterer jüdischer Familien, die vor den Nazis fliehen mussten: Den Frohweins, Horns, Kahns und Cahns. Hier lernte Erica unter anderem mehr über ihren Ur-Urgroßvater Isaak. Als er noch lebte, hatte er sich jeden Tag um 12 Uhr mit seinem Freund auf einer Bank vor dem Haus getroffen und über Politik, Religion und das Leben geredet. Als wäre es Schicksal, stand die Gruppe genau an dieser Stelle, als die Glockenschläge von St. Severinus um punkt 12 Uhr mittags ertönten…

 „Meine Omi war seine Lieblingsenkelin“, freute sich Erica. Gerda war sieben Jahre alt, als Isaak starb. Sie selbst starb im Jahre 2009 an Leukämie – eine Woche nach ihrem 90. Geburtstag. Sie sei ein sehr sozialer Mensch gewesen, habe in ihrem „zweiten Leben“ im Seniorenheim gleich viele neue Freunde gefunden.

„Wichtig und bewegend“

Kaum war man am Friedhof angekommen, begann auch schon die Suche nach den Grabsteinen von Ericas Verwandten. Keine einfache Aufgabe, denn die meisten Steine waren vom Zahn der Zeit nahezu unlesbar geworden – doch es gelang. Zuerst fanden sie den Stein von Isaak, den seiner Frau Eva kurz darauf. Erica und Chris waren sichtlich ergriffen. Sie legte einen Stein darauf ab und hielt einige Momente inne.

Zusammen betrachtete man den originalen Ableger des Anne-Frank-Baumes, der zum Gedenken an die verschleppten jüdischen Kinder Kommerns gepflanzt wurde und machte sich demütig wieder auf den Rückweg.

„Vielen Dank für dieses fantastische Möglichkeit! Sie können sich nicht vorstellen, wie wichtig und bewegend dieser Tag für mich ist“, betonte Erica schließlich gegenüber den Freiers und Höver: „Ich fühle dabei so viele verschiedene Emotionen, dass ich sie nicht einmal in Worte fassen kann.“ Schließlich endete der Tag mit einer Visite im Mechernicher Rathaus, wo Bürgermeister Dr. Hans-Peter Schick die Gäste aus Amerika persönlich empfing und auch er sich über die Geschichte der Kaufmanns informierte.

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