PRAYMOBIL. Mittelalterliche Kunst in Bewegung
29.11.2025 – 15.03.2026
Eröffnung mit Oberbürgermeister Dr. Michael Ziemons:
Fr 28.11. um 18.00 Uhr in der Kirche St. Adalbert, Aachen,
ab 19.00 Uhr: Ausstellungsbesichtigung im Suermondt-Ludwig-Museum
Mit der Ausstellung „Praymobil. Mittelalterliche Kunst in Bewegung“ zeigt das Suermondt-Ludwig-Museum Aachen erstmals weltweit eine umfassende Schau zu einem faszinierenden, bisher kaum erforschten Phänomen mittelalterlicher Kunst: bewegliche Skulpturen, die in Liturgie, religiösen Spielen und Volksglauben als scheinbar „lebendige“ Figuren eingesetzt wurden.
Rund 80 außergewöhnliche Objekte aus acht Ländern machen sichtbar, wie mittelalterliche Künstler Bewegung, Mechanik und Glaubenserfahrung miteinander verbanden – und wie lebendig diese Werke noch heute wirken.
Ein neues Kapitel mittelalterlicher Kunst
Was rollt, was schwenkt – und warum fließt Blut aus der Seite Christi? Gab es im Mittelalter tatsächlich schon Roboter-Löwen?
Die Ausstellung Praymobil widmet sich erstmals den beweglichen Skulpturen des Mittelalters, die Gläubige in Prozessionen, Andachten und religiösen Spielen in Staunen versetzten. Ob Christus auf einem fahrbaren Palmesel, ein Kruzifix mit beweglichen Armen oder ein Christkind, das „geboren“ werden konnte – diese Werke erzeugten mit einfachen Mitteln verblüffende Illusionen von Lebendigkeit.
Kuratiert wurde die Schau von stellvertretendem Direktor und Sammlungsleiter Michael Rief, Co-Kuratorinnen sind Dr. Dagmar Preising und Maria Geuchen.
„Uns war wichtig zu zeigen, dass diese beweglichen Figuren weit mehr waren als bloße Kuriositäten“, betont Rief. „Sie besaßen eine unmittelbare spirituelle, emotionale und performative Kraft, die Gläubige tief bewegte – und wir sind gespannt, wie sie heute auf ein modernes Publikum wirken.“
Heinrich Brötz, Beigeordneter der Stadt Aachen für Bildung, Jugend und Kultur, unterstreicht: „Möglicherweise weckt diese Ausstellung auch genau das wieder auf, was über die Jahrhunderte in der Glaubensausübung verloren gegangen ist: die Sinnlichkeit und das spielerische Element.“
Auch die technischen Aspekte sind bemerkenswert: „Die Lösungen, die mittelalterliche Werkstätten für Bewegung fanden, sind oft erstaunlich raffiniert – Seilzüge und Scharniere funktionieren bis heute“, so Rief. Gleichzeitig enthüllt die Ausstellung, dass nicht alle „Wunder“ echt waren: Tränen oder Blut konnten auch inszeniert sein – mitunter ein einträgliches Geschäft.
Es handelt sich um meist aus Holz, mitunter aber auch aus Ton oder Metallen gefertigte Skulpturen, die im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit zur Veranschaulichung und Verlebendigung vornehmlich des Christuslebens und der Passionsgeschichte als Protagonisten geistlicher Spiele zum Einsatz kamen. Sie sollten für das „re-enactment“ jenseits der kirchlichen Zeremonien und während der Liturgiefeier den Eindruck erwecken, als würden sie selbst agieren. In der kunsthistorischen Literatur hat sich hierfür seit den späten 1980er Jahren der Begriff des „handelnden Bildwerks“ eingebürgert, der jedoch zu Missverständnissen führen kann, da die Bildwerke ja selbst nicht handeln, sondern bewegt werden. Hierzu zählen nackte und anzukleidende Christkinder sowie Christkindwiegen und -bettchen, die beinahe lebensgroßen, auf fahrbare Gestelle montierten Palmesel mit reitender Christusfigur (für Frauenklöster auch im Miniaturformat), die am Palmsonntag in einer großen Prozession durch das Kirchenviertel gezogen wurden; Kruzifixe mit schwenkbaren Armen, mit denen Kreuzabnahme, Beweinung und Grablegung unter Beteiligung von menschlichen Akteuren nachgestellt werden konnten, ferner Grablieger (Leichnam Christi) und Figuren des Himmelfahrtschristus, die am Tag von „Christi Himmelfahrt“ in das „Heiliggeistloch“ im Kirchgewölbe gezogen wurden.
Zu den bewegten Bildwerken gehören auch, wie bislang noch wenig bekannt, Marienfiguren wie die Maria gravida (Maria in der Hoffnung), der man das Christkind aus dem Bauch herausnehmen konnte; Madonnen, denen das Kind abnehmbar aufgesteckt war; Gottesmutterdarstellungen, die selbst oder deren Christuskinder einen drehbaren Kopf besaßen; Marienfiguren mit fließenden Tränen; Maria als Schmerzensmutter mit dem zur Beweinung oder Grablegung abnehmbaren Leichnam Christi.
Auch Skulpturen, mit denen mehrere biblische Ereignisse veranschaulicht werden konnten, sind Gegenstand der Ausstellung: Christusbilder, die im Kontext der Passionsgeschichte sowohl in der Ecce homo-Szene, als auch als Schmerzensmann und Grablegungschristus fungieren konnte; sowie Christkinder, die an Marien aufgesteckt wurden und auf Kissen während Prozessionen an Mariä Lichtmess bzw. zur Aufstellung auf dem Altar Verwendung fanden.
Es ist ein spannender und der Allgemeinheit nicht bekannter Aspekt, dass doch so viele Skulpturen in Liturgie und Frömmigkeitspraxis des Spätmittelalters wirklich gebraucht und bewegt und ihnen somit Lebendigkeit verliehen wurden. In der Regel verbindet man mit Skulpturen dieser Zeit eher statische Objekte.
Perspektivwechsel: Jenseits von Pracht und Prunk
Praymobil rückt gezielt Objekte in den Mittelpunkt, die außerhalb höfischer oder kirchlicher Kunst entstanden und im religiösen Alltag der Bevölkerung beliebt waren.
Museumsdirektor Till-Holger Borchert erklärt: „Der Titel Praymobil spielt bewusst mit der Doppeldeutigkeit von Gebet (pray) und Bewegung (mobil). Er soll neugierig machen und zeigt: Diese Figuren waren keine starren Bilder, sondern handelnde Akteure in einer religiösen Inszenierung.“ Rief ergänzt: „Wir wollten einen Titel finden, der Interesse weckt, ohne die Objekte zu banalisieren. Praymobil verbindet auf augenzwinkernde Weise Spiritualität und Bewegung – genau darum geht es hier.“
Die Ausstellung schlägt den Bogen vom Spätmittelalter über Fortsetzungen im 19. Jahrhundert bis hin zu lebendigen Traditionen der Gegenwart, etwa dem „Streuengelchen“-Brauch in Aachen, bei dem eine bewegliche Engelsfigur Süßigkeiten auf die Straße regnen lässt.
„Auch heute suchen Menschen nach Momenten, in denen Dinge lebendig werden – ob in digitalen Welten, in immersiven Kunstinstallationen oder in religiösen Ritualen“, so Borchert. „Das Bedürfnis nach Präsenz, Berührung und Staunen ist zeitlos.“
Praymobil richtet sich an ein breites Publikum. Der alltagsnahe, sinnliche Zugang eröffnet neue Wege zur kulturellen Teilhabe – unabhängig von Alter, Herkunft, Religion oder Vorwissen. Familien, Jugendliche, Schulklassen und andere Besucher*innen finden hier einen spannenden Zugang zur Welt des Mittelalters. Zugleich bietet die Schau mit neuen Forschungserkenntnissen und selten gezeigten Exponaten einen Mehrwert für Expert*innen. Begleitend zur Ausstellung findet ein vielfältiges Programm mit Führungen, Workshops, Vorträgen und Performances statt.
Ein Katalog zur Ausstellung ist im Imhof Verlag erschienen.
Gefördert wird Praymobil durch:
Peter und Irene Ludwig Stiftung, Ernst von Siemens Kunststiftung, Kunststiftung NRW, Kulturstiftung der Länder, Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW, Landschaftsverband Rheinland, Renate König-Stiftung, Sparkassen-Kulturstiftung Rheinland, Jugend- und Kulturstiftung der Sparkasse Aachen, Sparkasse Aachen und den Museumsverein Aachen e.V.

