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Mi.. 13 Aug.. 2025
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Technische Virtuosität

Suermondt-Ludwig-Museum Aachen erwirbt zwei bedeutende Werke von Barthel Gilles

Dank der Förderung durch das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen im Förderjahr 2024 konnte das Suermondt-Ludwig-Museum Aachen zwei herausragende Gemälde des Kölner Künstlers Barthel Gilles (*1891 – †1971) erwerben: Mutter mit Kind (1930) und Mädchen mit Schleier (1937). Die aus Privatbesitz stammenden Werke sind nun erstmals öffentlich zugänglich.

Die beiden Gemälde entstanden in der zentralen Schaffensphase von Barthel Gilles und stellen eine bedeutende Erweiterung der Sammlung des Suermondt-Ludwig-Museums im Bereich der Neuen Sachlichkeit dar. Sie zeigen auf exemplarische Weise Gilles’ technische Virtuosität in Eitempera- und Lasurtechnik und ermöglichen durch ihre thematische wie stilistische Divergenz einen vielschichtigen Einblick in sein künstlerisches Schaffen und seine Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen und politischen Strömungen der 1930er Jahre.

Mutter mit Kind (1930, Öltempera auf Holz)

In neusachlicher, an mittelalterlicher Malerei orientierter Malweise porträtiert Gilles seine Ehefrau Louise Drath mit der neugeborenen Tochter Sibylle. Die detailreiche physiognomische Darstellung überführt ein traditionelles Madonnenmotiv in eine moderne, intime Mutter-Kind-Szene. Die stille Tiefe des Moments wird durch den versonnenen Blick der Mutter und den direkten, forschenden Blick des Kindes eindrucksvoll verdichtet.

Das Werk erlangte 1931 größere Bekanntheit, als Gilles für dieses Gemälde gemeinsam mit seinem Selbstbildnis mit Gasmaske mit dem Dürer-Preis ausgezeichnet wurde. Zwei Jahre später wurde es im Rahmen der nationalsozialistischen Propaganda in der Ausstellung Gesunde Frau – Gesundes Volk (Köln, 1933) gezeigt. Damit wurde das ursprünglich private Motiv politisch vereinnahmt und in den Dienst ideologischer Zielsetzungen gestellt.

Barthel Gilles, Mädchen mit Schleier (1937), Suermondt-Ludwig-Museum Aachen. Foto: Archiv SLM

Mädchen mit Schleier (1937, Eitempera auf Hartfaser)

Im Kontrast dazu steht das Mädchen mit Schleier, das eine moderne, selbstbewusste junge Frau zeigt – und in subtiler Weise Brüche zur NS-Ideologie offenbart. In klassischer Brustbild-Darstellung vor neutralem Hintergrund, formal an Marienbildnisse angelehnt, zeigt Gilles eine junge Frau mit roten Haaren, geschminkten Lippen und einem betont expressiven Farbdreiklang (Gelb, Grünblau, Orange). Diese Elemente stehen bewusst im Widerspruch zum nationalsozialistischen Frauenideal. Trotz formaler Strenge bewahrt das Bild seine individuelle Lebendigkeit und verweigert sich einer Idealisierung.

Beide Werke belegen eindrucksvoll die Entwicklung von Gilles’ neusachlicher Bildsprache in den 1930er Jahren – zwischen kritischer Distanz, technischer Raffinesse und politischer Vereinnahmung.

Bedeutende Ergänzung der Sammlung

Mit dem Ankauf dieser beiden Gemälde wird nicht nur die bestehende Sammlung neusachlicher Kunst im Suermondt-Ludwig-Museum wesentlich bereichert, sondern auch der öffentliche Werkbestand von Barthel Gilles entscheidend erweitert. Neben bedeutenden Arbeiten wie Selbstbildnis mit Gasmaske (1930) und Ruhrkampf (1930) ermöglichen die beiden Neuerwerbungen eine vertiefte Auseinandersetzung mit Gilles’ Werk im Spannungsfeld von Zeitgeschichte, künstlerischer Positionierung und biografischer Erfahrung.

Ein Künstler mit lokalem Bezug

Barthel Gilles pflegte bereits seit den 1920er Jahren enge Verbindungen zur Stadt Aachen und stellte mehrfach im Suermondt-Museum aus. Sein Schwager, der Aachener Tänzer Peter Drath, förderte diese Verbindung. Auch in seinem Werk finden sich lokale Bezüge, etwa die Darstellung der Schirmfabrik Brauer (heute Ludwig Forum) im Gemälde Ruhrkampf oder ein Holzschnitt zu den Aachener Separatistenunruhen 1923. Die beiden neuen Erwerbungen würdigen somit nicht nur die kunsthistorische Bedeutung des Künstlers, sondern auch seine regionale Verwurzelung.

Impulse für Sammlung, Forschung und Vermittlung

Mit dem Ankauf setzt das Suermondt-Ludwig-Museum unter der Leitung von Till-Holger Borchert ein klares Zeichen: Die Auseinandersetzung mit der Kunst der 1930er Jahre und der Rolle von Künstler*innen in der Zeit des Nationalsozialismus ist ein zentrales Anliegen der Sammlungspolitik. Barthel Gilles, dessen Werk durch die Forschungen des Museums – insbesondere durch die Dissertation von Adam Oellers und eine große Retrospektive 1987 – maßgeblich rehabilitiert wurde, steht exemplarisch für eine differenzierte Betrachtung dieser Epoche.

Die beiden Werke werden dauerhaft in die Sammlung integriert und künftig im Kontext neusachlicher und expressionistischer Arbeiten (u. a. von H. M. Davringhausen, Adam Evarist Weber, Rudolf Levy, Hans Purrmann) präsentiert.

Der Ankauf stärkt nicht nur das museale Profil in Nordrhein-Westfalen, sondern eröffnet auch neue Perspektiven für die kulturelle Bildung in der Euregio. Themen wie das Frauenbild im Nationalsozialismus, künstlerische Strategien zwischen Anpassung und Widerstand sowie die Rolle der Frau zu Beginn des 20. Jahrhunderts lassen sich anhand der beiden Werke anschaulich vermitteln. Damit leisten die Erwerbungen einen wichtigen Beitrag zur historischen Aufklärung und kulturellen Bildung über Landesgrenzen hinweg.

Das Suermondt-Ludwig-Museum dankt dem Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen für die großzügige Unterstützung und freut sich, diese bedeutende Erweiterung der Sammlung nun der Öffentlichkeit präsentieren zu können.

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